Arbeiten & Behinderung – wie geht das?
Inklusiver Arbeitsmarkt, Mitarbeitende mit Behinderung, besondere Anforderungen an den Arbeitsplatz – mit solchen Gedanken beschäftigen wir uns in unseren Social Entrepreneruship Camps mit Fokus Inklusion. Erfahrt hier, was wir in unserem Camp in Wismar erlebt haben:
Unser Workshop-Fokus: behinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt. Fast 8 Millionen Menschen in Deutschland gelten als schwerbehindert. Das ist etwa ein Zehntel der Bevölkerung. Und einem großen Teil dieser Menschen wird eine faire und gerechte Teilhabe am Leben noch immer schwer gemacht. Das zeigt sich auch und besonders auf dem Arbeitsmarkt. Menschen mit Behinderungen gelingt es seltener als Nichtbehinderten, auf dem 1. Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Im Bundesdurchschnitt sind etwa 4,6 Prozent aller Arbeitsplätze durch behinderte Menschen besetzt.
Wie wollen wir das angehen? Was können wir dazu beitragen?
Wie kann man die Bedingungen für behinderte Menschen verbessern? Wie geht man mit Berührungsängsten und Vorurteilen um? Ist Inklusion überhaupt machbar? Und wie offen ist unsere Gesellschaft um behinderte Menschen in die Arbeitswelt zu integrieren?
Die Hilfswerft, das Landesamt für Gesundheit und Soziales Mecklenburg-Vorpommern (LAGuS) und das Robert-Schmidt-Institut der Hochschule Wismar haben es sich zur Aufgabe gemacht, dies gemeinsam mit Teilnehmenden des Social Entrepreneurship Camps „Inklusion in der Arbeitswelt“ herauszufinden. Knapp 30 Studierende sowie Interessierte aus der Region und darüber hinaus haben sich aufgemacht daran zu arbeiten.
Einstimmung, Chancen und Herausforderungen
Nach einer kurzen Vorstellungsrunde aller Teilnehmer*innen, führte Hilfswerft-Moderator Carsten Lessmann in die Welt des Social Entrepreneurships ein. Die inhaltliche Annäherung zum Thema Inklusion und Teilhabe von behinderten Menschen am Arbeitsleben gaben Birgit Baumgart, (Staatl. Museum Schwerin) Nils Wöbke (Lebenshilfe Hagenow, capito) und Felix Jedlink im ersten Praxis-Impuls. Sie stellten uns ihr Projekt “Neue Wege zur Kunst – Museumsführungen immer inklusive” des Staatlichen Museums in Schwerin vor und wie Inklusion im Kulturbetrieb gelingen kann. Besonders im Gedächtnis blieben uns dabei die Schilderungen von Felix (23 Jahre), der über seine Erfahrungen vom Übergang aus der Werkstatt in den 1. Arbeitsmarkt berichtete. In seiner Ausbildung als Bildungsfachkraft und Museumsführer erlernte er wichtige Kompetenzen über Eigen- und Fremdwahrnehmung, wie er zum Beispiel selbstbewusster oder ruhiger wird, wie er bei den Besuchern Interesse wecken kann oder wie er selbst Zugang für die Themen im Museum findet. Dadurch hat er auch an seinen Schwächen gearbeitet und geübt langsamer zu sprechen, er hat sein Stottern überwunden, hat gelernt, wie man auf Menschen zugeht oder wie er am besten mit Stress umgeht.Sein Aufruf an alle: Jeder Mensch sollte die Chance auf den 1. Arbeitsmarkt erhalten und die Möglichkeit bekommen dort Erfahrungen sammeln zu können. Diese Botschaft hat uns nachhaltig getroffen und angetrieben uns aufzumachen!
Im Fach-Impuls des LAGuS berichteten uns Dr. Kathrin Baumgarten, Leiterin des Integrationsamtes im LAGuS, und ihre Kollegin Silke Milatz über ihre Aufgaben und Leistungen und wie sie ihren Auftrag erfüllen, behinderten Menschen den Zugang in den 1. Arbeitsmarkt zu erleichtern. Mit den Angeboten des LAGuS soll ermöglicht werden, Menschen mit Behinderungen dauerhaft am Arbeitsprozess teilhaben zu lassen. Als Inspiration legen sie nochmal Gründe offen, die dafür sprechen Menschen mit Behinderung einzustellen: eine enge Bindung an das Unternehmen, sie sind als Ideen-Katalysator bekannt, es entsteht eine positive Wirkung auf das Betriebsklima, man gewinnt sehr loyale und hoch motivierte Kolleg*innen, es entsteht ein Imagegewinn für das Unternehmen und unterstützt gelebte Barrierefreiheit. Mit diesem inspirierenden und positiven Antreiber starteten wir in unsere Gruppensessions.
Kennenlernen und Problem beschreiben
Gemeinsam wurden nun Herausforderungen rund um das Thema Inklusion in der Arbeitswelt zusammengetragen und am Ende haben sich sieben Teams gebildet. Die Teilnehmenden trafen in virtuellen Gruppenräumen zusammen um sich besser kennenzulernen, lernten ihre Stärken kennen, verteilten Rollen und vereinbarten Teamregeln. In der nächsten Gruppenarbeit ging es darum das Problem zu identifizieren und zu verstehen. Mithilfe des Problem-Eisbergs wurden Ursachen und Auswirkungen gesammelt, die man im Workshop angehen wollte. So sollten die Teams eine gemeinsame Basis bei der Problembeschreibung finden um dann später in die Ideengenerierung einzusteigen.
Fokus: Problem – Antrieb: Leidenschaft
Im letzten Impuls an diesem Tag berichtete uns Christian Hanne von seinem inklusiven Gründungsvorhaben. Er möchte mit seinem zukünftigen Sozialunternehmen Menschen mit Beeinträchtigungen (drohender oder dauerhafter Erwerbsminderung) begleiten, Perspektiven schaffen um ihnen den Weg von der Schule in den Beruf zu ermöglichen. Sehr eindringlich schilderte er seine Motivation und Leidenschaft für das Thema, warum er dafür brennt und was ihn immer wieder antreibt. Aber auch Stolpersteine und Hürden ließ er nicht aus und sprach über Frustration, was hin und wieder vorkommt. Seine Überzeugung: Mit meinem Vorhaben möchte ich maximale Lösungen für ein gleichberechtigtes Leben für alle Betroffenen schaffen.
Dieser eindringlichen Vortrag inspirierte uns sehr und so nahmen wir diese Gedanken mit um den ersten Camp-Tag abzuschließen.
Ideengenerierung und Social Startup Canvas
Um gut in den 2. Tag zu starten, lud uns Carsten zu einer gemeinsamen Aktivität ein. Mit klatschen, schnippen, zählen regten wir unsere beiden Gehirnhälften an und brachten unseren Kreislauf in Fahrt. Nun konnte es also losgehen. Nach einem kurzen Rückblick auf den vergangenen Tag, konnten wir den 1. Praxisexperten begrüßen. Michael Apelt stellt sein Inklusionsunternehmen Apelt-Handel für Haus und Garten vor und sprach über Erfahrungen, die er mit Mitarbeiter*innen mit Behinderung gemacht hat. Als Arbeitgeber schafft er entsprechende Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für einen Mitarbeitenden mit Behinderung – beispielweise flexible Arbeitszeiten, individuelle Pausenregelungen, passende Arbeitsgeräte, angemessene Arbeitsplatzausstattung, funktionale Räumlichkeiten und sanitäre Einrichtungen. Michael Apelt betont die Mehrwerte und dass Kolleg*innen mit geistiger oder körperlicher Behinderung für ihn ein Hauptgewinn sind.
Mit dieser Inspiration ging es für die Teams los. Kreative Ideen konnten in der anstehenden Gruppensession entwickelt werden – hier kam unsere Traummaschine zum Einsatz. Dabei gab es scheinbar für jede Herausforderung ein Tool – dies galt es dann am Ende so konkret wie möglich zu gestalten und in einem Ergebinssatz zu formulieren. Carsten stelle danach das Social Startup Canvas vor. Das Social Startup Canvas – angelehnt an Alexander Osterwalder – ist ein Modul, um ein Geschäftsmodell und eine Startup Idee zu visualisieren und zu testen, ob diese auch unternehmerisch sinnvoll ist. Damit erhält man einen ziemlich guten und schnellen Einblick über ein Projekt und wie es funktioniert. Jede Idee braucht ein funktionierendes Geschäftsmodell, wenn sie sich langfristig halten und möglichst viele Menschen erreichen möchte. Das gilt auch und besonders für Social Businesses.
Nun waren die Gruppen wieder dran und wendeten das erlernte Wissen auf ihre Vorhaben an. Erlösmodellmuster luden des Weiteren dazu ein, über mögliche Einnahmenoptionen nachzudenken.
Regionale Gründungsteams
Ein besonderes Highlight an diesem Nachmittag waren die beiden Gründungsteams der HS Wismar. Mit dabei war Francis Kordel von „Buddel Briesken“ – seit Sommer 2020 verwirklicht das Gründertrio die Idee des plastikfreien Waschmittels „Buddel Briesken“. Dazu wird einer nachwachsender Rohstoff verwendet und ein Konzept entwickelt, wie deutschlandweit ein regionales Produkt angeboten werden kann. Ihre Projektvorstellung war ein überzeugendes Beispiel, wie aus einer studentischen Idee ein Projekt und bald ein Geschäftsmodell wird. Als weiterer Impulsgeber war das Team von „COKO“ dabei. Patrick Martin, Phillip Gerbrand und Maik Martin berichteten über ihre Motivation, wie sie als Gründerteam etwas sinnstiftendes und gutes für den Planeten tun möchten und gleichzeitig auch unternehmerisch tätig sein wollen. Sie stellten ihr Projekt als Pitchpräsentation vor, was ihnen auch als Testlauf für eine anstehende Förderung dienen sollte. Wir sagen: Test bestanden und würden als Finanziers einsteigen! Beide Teams und Projekte waren sehr bereichernd und ein tolle Inspiration für die Teilnehmer*innnen.
Speedfeedback – schnell und vielseitig
In unserer Feedback-Runde waren die Teams eingeladen ihre Ideen einem Praxischeck auszusetzen. Als Feedbackgebende waren Expert*innen dabei, welche ihre unterschiedlichen Perpektiven, Erfahrungen und Einschätzungen einbringen sollten. Nun hieß es: 6 Runden, 7 Teams, 10 Minuten. Als Gesprächspartner*innen standen Francis von Buddel Briesken, das Team von COKO, zwei Vetreterinnen des LAGuS Zohreh Fechner-Landji und Janine Grobareck und das Hilfswerft-Team zur Verfügung und so konnten unterschiedlichste Themen, Belange und Fragen adressiert werden.
Nach diesem intensiven 2. Tag konnten sich die Teams mental schon auf den Abschluss einstimmen: die Pitchpräsentationen standen am letzten Tag auf dem Programm.
Pitchen und überzeugen
Die Teams haben das Feedback des Vortags verarbeitet und in ihre Ideen einfließen lassen. An diesem Abschlusstag war also nicht mehr viel Zeit und die Spannung stieg. Denn es standen die Pitchpräsentationen der Teams und ihrer Vorhaben an. Als Vorbereitung gab Carsten nochmal eine Pitch-Einführung. Als Beispiel präsentierte er unser Bildungsposter für nachhaltigen Konsum. So konnten die Teilnehmenden an einem konkreten Beispiel erfahren, was bei einem Pitch beachtet und berücksichtigt werden sollte. Wie könnte der Aufbau gestaltet sein? Kann man Storytelling einbauen? Was ist der Unterschied zu herkömmlichen Präsentationen? In der letzten Gruppenarbeit arbeiten und entwarfen die Teams ihre Pitches.
Endlich war es soweit und die Teams sollten ihre Vorhaben unseren Gutachter*innen vor. In dieser Runde konnten Kahtrin Baumgarten (LAGuS), Antje Bernier, (Behindertenbeauftrage der HS Wismar), Veronika Busch (fint e.V.) Hartmut Domröse (Robert-Schmidt-Institut der HS Wismar) und Janine Grobareck (LAGuS) die einzelnen Projektideen kennenlernen.
Gutachter*innen geben Rückenwind
Im anschließenden Austausch gaben unsere Expert*innen den Teams wertvolles Feedback. Man war schwer beeindruckt von den Ergebnissen und motivierte die Teams dazu unbedingt weiterzumachen. In der Runde wurden konkrete Fragen beantwortet, hilfreiche Anregungen weitergegeben und Vernetzungsangebote ausgetauscht. Das LAGuS hat noch eine zusätzliche Sprechstunde einberaumt, bei der sich alle Teams nochmal an das Integrationsamt wenden können um individuelle Anliegen zu den einzelnen Vorhaben zu besprechen. Wir freuen uns, wenn wir von einzelnen Ideen weiterhören werden!
Das sind die Ideen unseres Social Entrepreneurship Camps – Inklusion in der Arbeitswelt:
- Inkluseum: Inklusives und barrierefreies Konzept, Leitbild und Aktionsplan für ein Historik-Freilicht-Museum
- Zeitlupe: Inklusives Bildungsangebot und Vernetzungsräume: der inklusive Podcast für Kinder und Weiterbildungsangebot für Pädagog*innen
- AutiLearn: Eine App als Info-, Kontakt- und Lernportal für Menschen mit Autismus und ein Armband zur Emotionserkennung
- Arbeit3+: Potentiale von Menschen mit Behinderungen einsetzen und ein Angebot schaffen durch Beratung, Fortbildung, Vernetzung von Arbeitgebern, Arbeitssuchenden und Behörden
- PerspektivWerkstatt: Vermittlungsangebot und Service-Website für Unternehmen, Werkstätten und MmB um den Weg in den 1. Arbeitsmarkt neu, einfacher und inklusiver zu gestalten
- ReBoMall: Inklusives Nachhaltigkeitszerntum und Kulturstätte mit Angeboten in den Bereichen Bildung, Gastronomie, Recycling, Reparatur und dabei Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung in Arbeitsprozesse einbeziehen.
- LInK@Campus: Netzwerk und Angebote an Hochschulen für Studierende mit psychischen Erkrankungen, Besonderheiten, Beeinträchtigungen, um diesen eine umfassende Teilhabe und das Nutzen ihres vollen Potentials zu ermöglichen.
Stimmen der Teilnehmenden:
„Wenn du einen Ort möchtest, an dem neue Ideen geboren entstehen, nimm an einem Hilfswerft-Camp teil.“ – Steffen Buchholz
“Liebe Hilfswerft, es waren wieder 3 sehr konstruktive Tage mit soooo viel Input und Netzwerk. Schön das es Euch gibt und ich wünsche mir so etwas auch für SH“ – Marina Scheel
„Ich hatte anstrengende aber sehr ideen- und lehrreiche drei Tage. Für Neugründer ist das Angebot der Hilfswert sehr empfehlenswert. Ich denke, ich werde auch wieder einmal teilnehmen.“ – Cornelia Ermeier
“Man macht tolle Erfahrungen mit tollen Menschen und kann seine Idee und Kreativität auch wirklich umsetzen.“ – Lara Zierau
„Manchmal sieht man das Naheliegende nicht, bis man draufgestoßen wird. Es gibt mehr Lösungen als wir uns vorstellen.“ – Dr. Hartmut Domröse
„Ein tolles Angebot um das Verständnis rund um soziales Unternehmertum zu erweitern und um selbst bei der Ideenentwicklung kreativ tätig zu werden.“ – Christoph Biallas
„Soziale Themen unternehmerisch zu durchdenken bietet unglaubliches Potential jenseits des Fürsorgespektrums.“ – Antje Bernier
„Das Camp von der Hilfswerft hat mich inspiriert und ermutigt an den Themen Inklusion und Unternehmertum dran zu bleiben. Ich habe wertvolle Infos erhalten und konnte Kontakte knüpfen, die mir in meinem Projekt helfen werden.“ – Nora Henker
Selbst aktiv werden?
In unserem Veranstaltungskalender findet ihr unsere nächsten feststehenden Termine. Euer Thema ist nicht dabei? Dann meldet euch über unser Interessierten-Formular. Wir sagen euch Bescheid, sobald wir glauben, dass es für euch interessant werden könnte. Natürlich könnt ihr euch auch in unseren Newsletter eintragen.