Social Entrepreneurship studieren – eine fehlende Bestandsaufnahme
Hilfswerft-Mitglied Fabian macht sich ausgelöst durch einen Zeitungsartikel zum Anfang des Jahres Gedanken zum Großen und Ganzen. Social Entrepreneurship studieren – wie leicht ist das eigentlich Heute? Eine Übersicht über die aktuellen Aktivitäten der Szene und den fehlenden Kompass, wie weit wir mit der Social Entrepreneurship Lehre an deutschen Hochschulen sind.
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Der FAZ Artikel „Wirtschaftslehre im Wandel“ (Paywall) hat in dieser Woche die Runde gemacht.
Die Botschaft war zweigeteilt: Einerseits wurde anerkannt, dass an einigen Hochschulen und Universitäten auch in der Betriebswirtschaftslehre die Nachhaltigkeit in der Lehre angekommen ist.
Doch neben vermehrten Schwerpunkten zu Corporate Social Responsibility, sind die Alternativen im Entrepreneurship-Bereich noch rar. Dabei werde sich in der Forschung schon weit aus stärker mit Social Entrepreneurship auseinandergesetzt. Natürlich kann es bald einen nachholenden Effekt geben und die Forschung ermöglicht es erst, Social Entrepreneurship zu studieren. Aber darauf verlassen, wäre vielleicht nicht die beste Lösung.
Gründungsmotivation der Hilfswerft: Social Entrepreneurship studieren
Genau dieser Umstand spielte auch bei der Gründung der Hilfswerft eine Rolle. Angefixt vom Buch des frischprämierten Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus, fragten sich die drei Gründer, warum sie solche Inhalte nicht schon in ihrem Studium entdecken durften. Social Entrepreneurship studieren – ziemliche Fehlanzeige. Die These: Wenn in Entrepreneurship-Studiengängen oder -modulen nicht genug über die Notwendigkeit von Nachhaltigkeit und in wirtschaftsfremden Studiengängen nicht genug über die Innovationskraft von Entrepreneurship gesprochen wird, haben wir als Bildungsgesellschaft ein Problem.
Akuthilfe Camps
Das war die Geburtsstunde der Social Entrepreneurship Camps, welche als niedrigschwelliges Aktivierungsangebot im Hochschulbereich entwickelt wurde. Zwei bis drei Tage sollen sich Studierende und lokale Interessierte in interdisziplinären Teams den gesellschaftlichen Herausforderungen stellen. Motiviert durch eingeladene Social Entrepreneurs, befähigt durch Methoden aus der Innovations- und Business Modelling-Welt, konnten die Teilnehmenden selbst entdecken, wie sie schon in kurzer Zeit erste Lösungsansätze konzeptionalisierten.
Ein erfolgreiches Format, welches nun schon über 30 Mal durchgeführt wurde.
Langfristig gesehen
Doch nicht nur bei der Hilfswerft-Crew, auch bei unseren Kooperationspartner:innen stellte sich immer häufiger eine Frage: Was kommt danach? Wie auch in der restlichen Startup-Branche, werden aus den wenigsten Ideen echte und dauerhaft erfolgreiche Unternehmen. Per Kontrollgruppe den eigenen Beitrag an der Selbstwirksamkeitserwartungsveränderung der Teilnehmenden über die Zeit zu überprüfen ist sehr aufwendig.
Doch obwohl uns natürlich auch die Zufriedenheit und Kompetenzerweiterung der Teilnehmenden wichtig ist, erinnern uns auch Artikel wie der obige daran, dass wir ja eigentlich an die Strukturen wollen.
Kleiner Tropfen oder Meer der Veränderung?
Vielleicht haben wir mit unseren regelmäßigen Camps vor Ort einen kleinen Beitrag geleistet, dass es nun in Bayreuth eine Juniorprofessur für Social Entrepreneurship gibt. Es gibt tiefe Partnerschaften in Oldenburg und Bremen, durch die wir den dortigen Studierenden auch ein planbares Angebot geben können.
Zudem wurden in Aachen oder Emden/Leer Formate umgesetzt, welche auch die dortigen Gründungsakteure oder Lehrkräfte befähigen sollten, die Social Entrepreneurship Perspektive einzunehmen.
Dennoch haben wir noch nicht das Gefühl, das Potenzial ausgeschöpft zu haben. Das Ziel muss nicht gleich ein eigener Studiengang sein, wie er nun in Eberswalde mit Sustainable Enterpreneurship & Social Innovation an den Start ging.
Aber zumindest einzelne Module in die relevanten Studiengänge unterzubringen, sollte anzustreben sein. Und dabei meine ich nicht nur die klassische BWL oder Entrepreneurship-Schwerpunkte. Auch soziale Arbeit, Gesundheitswissenschaften oder Biologie profitieren von jener Kompetenzerweiterung der Studierenden.
Dafür machen wir zu wenig, auch aus der Ambidextrie heraus, mit operativen Planungen oder anderen Programmen wie Inklupreneur schon gut ausgelastet zu sein. Das Strategische erhält dann zu wenig Zeit und müsste am besten auch erst einmal finanziert werden.
Wir sind nicht allein
Dabei sind wir in der Mission überregionaler Social Enterpreneurship Higher Education Angebote nicht allein. Organisationen wie die Social Entrepreneurship Akademie, Yooweedoo, die World Citizen School oder mak3it sind unsere Mitstreiter.
Die Social Entrepreneurship Akademie (SEA) scheint ein breites Netzwerk aufgebaut zu haben und bietet eine große Auswahl an Angeboten an. Jedoch sehe ich in der Selbstbeschreibung und dem Wirkungsnachweis eher den Fokus auf den Studierenden. Anfang 2022 hat sie zusammen mit Hochschulpartnerschaften eine große Förderung für das Bundesland Bayern erhalten, bei der auch die Befähigung von Hochschulstrukturen eine Rolle spielt. Zusammen mit SEND und dem FGF e.V. hat die SEA im letzten Jahr das Online-Barcamp „Social Entrepreneurship macht Hochschule“ als Netzwerkveranstaltung erfolgreich organisiert.
Das Team der World Citizen School hat neben ähnlichen Camp-Formaten 2021 mit dem Buch Social Innovation Education einen wichtigen Schritt gemacht und verfolgt mit der „Transfer-Allianz: Studieren für die Zukunft“ ein weiteres spannendes Collective Impact Vorhaben.
Das an der School of Sustainability der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel angesiedelte yooweedoo fokussiert sich beim gleichnamigen Wettbewerb gefühlt stärker als zuvor auf Gründungen im eigenen Bundesland. Mit der Akademie für Social Entrepreneurship und dem Changecoach Programm werden auch eher (potenzielle) Gründer:innen angesprochen.
Die Kölner Organsiation mak3it bietet ebenfalls Programme für Hochschulen an, besonders mit Schwerpunkt Lean (Impact) Startups. Außer einer Case Study können aber bisher keine weiteren Informationen über Stragie oder bisherige Erfolge auf der Webseite entnommen werden.
Weitere Netzwerke
Aus der Perspektive der Hochschulen und ihren akademischen Vertreter:innen ist der schon erwähnte Förderkreis Gründungs-Forschung e.V. bekannt. Dort gibt es auch Arbeitskreise zu Social und Sustainable Entrepreneurship. Diese scheinen sich jedoch eher für die Forschung zu vernetzen.
Die meisten Organisationen sind auch im Wirkungsbereich Bildung des Vereins Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland zu finden (in dem auch die Hilfswerft Mitglied ist). In diesem Rahmen ergibt sich aus meiner Perspektive die bestmögliche Initiierung von gemeinsamen Bestrebungen, da eine gute Infrastruktur vorhanden, die Institutionalisierung schon abgedeckt, und durch die Entscheidung der Mitgliedschaft auch für private Förder:innen eine gewisse Verbindlichkeit damit verbunden ist.
Basierend auf Workshop-Angeboten des SEND e.V. im Rahmen von „Fit für Sozialunternehmen“ hat sich aber auch eine eigene davon unabhängige Slack-Community „Social Entrepreneurship in der Hochschule“ gegründet.
Update (25.1.): Nicht zu vergessen sind auch die bundesweiten Studierendeninitiativen. Dabei ist der Enactus e.V. an 31 Hochschulen vertreten, der etwas jüngere Infinity Deutschalnd Verein mit sechs Regionalgruppen. Einzelne Bezüge hat auch sneep , die im Bereih Wirtschafts- und Unternehmensethik unterwegs sind. Manche Hochschulen unterstützen die Organisationen, seltener in einer Grundfinanzierung, aber beispielsweise durch die Anrechenbarkeit des Engagements in Form von Credit Points.
Update (26.1.): In Kollaboration mit SEND und FGF arbeitet auch das im Aufbau befindliche ImpactUP Network, welches unter Federführung von Marc Karahan europaweit Wissenschaftler, Inkubatoren, Accelerators und andere Unterstützer:innen von Impact Entrepreneurship verbinden möchte.
Gute Vorzeichen auf Politikebene
Die Chancen stehen jedenfalls so gut, wie schon lange nicht. So macht insbesondere der Ampel-Koalitionsvertrag Hoffnung auf Bewegung, wenn die Regierungsparteien die Innovationsförderung für soziale und ökologische Innovationen konsequent öffnen möchten, mit Bundmittel die Schaffung einer Gründungsinfrastruktur für technologisches wie soziales Unternehmertum bereitstellen oder eine Deutsche Agentur für Transfer und Innovation (DATI) gründen wollen.
Jetzt schon finden wir bei der Förderung von Hochschulen durch EXIST-Potentiale immer häufiger sozial-innovative Vorhaben wieder.
Plurales Vorbild
Abschauen könnten wir uns wahrscheinlich alle etwas an der Bewegung in der Volkswirtschaft.
Dort wird sich seit geraumer Zeit unter dem Dach der Pluralen Ökonomik bemüht, den Blick auf die Wirtschaft vielfältiger zu gestalten. Ein großartiges Netzwerk, welches sich in der Eigenbeschreibung den Wirtschaftswissenschaften allgemein widmet, in den Inhalten und der kritischen Auseinandersetzung mit der Neoklassik aber deutlich der VWL zuzuordnen ist. Zumindest geben auf der deutschen Webseite https://www.plurale-oekonomik.de selbst die allgemeineren Begriffe „Entrepreneurship“ oder „Unternehmertum“ keinen Treffer.
Auf der Webseite findet sich aber auch der Reiter „Plural studieren“. Neben einer Einführung und Materialen findet sich dort auch eine Liste an pluralen Studiengängen.
Wo stehen wir wirklich?
Ich sehe dies als Vorbild für einen ersten gemeinschaftlichen Schritt, dies auch für das Thema Social Entrepreneurship aufzustellen. Irgendwo muss man anfangen, warum nicht bei der Ermittlung des Status Quo? Als Datenbank und unter Common Creative Lizenz für alle nutz- und im Rahmen von Bildungsangeboten verwertbar. Bei der Recherche sollte unterschieden werden, wie groß der Umfang ist (Studiengang – Studiengangschwerpunkt – Studienmodul) und ob eine Verankerung in der curricularen Lehre stattfindet oder nicht.
Die Hilfswerft selbst hat – vor meiner Zeit – ein Poster veröffentlicht, welches die Social Business Szene in Deutschland abbildete. In der Mitte befindet sich eine Deutschlandkarte, in der Forschung, Lehrstühle und Hochschulen abgebildet wurden. Darauf einige Lehrstühle, die es heute nicht mehr gibt („Jacobs University Bremen: Chair of Social Entrepreneurhsip (Prof. Dr. Steven Ney)) und in der Summe neben Forschungsschwerpunkten oder externen Instituten (Genesis Institute), erstaunlich wenige „echte“ Studienangebote. Das hat sich mittlerweile etwas geändert, ein Update ist überfällig und dieses Mal am besten wie auch bei der Pluralen Ökonomik „crowdgessourct“.
Kein Spaziergang…
Einige Fragen müssen davor noch geklärt werden:
- Was, wenn es in einem Studienmodul das Thema Soziale Innovationen gibt, aber es eher als externes Phänomen beschrieben wird und nicht auf die Erhöhung der Selbstwirksamkeit abzielt?
- Oder wenn es eine couragierte Lehrperson gibt, die Social Entrepreneurship studieren in einem Modul „Advanced Topics of…“ anbietet, der Inhalt aber im nächsten Semester durch eine andere Person schon wieder anders sein könnte?
- Was ist überhaupt ein „regelmäßiges“ Angebot?
- Wie werden Wettbewerbe berücksichtigt oder die Bemühungen von Gründungszentren oder Institutionen wie die Innovative Hochschule?
- Brauchen wir wie beim FGF eine Abgrenzung zwischen Sustainable und Social Entrepreneurship (nach einer ersten Suche gestaltet sich aktuell das Verhältnis ziemlich zugunsten von Sustainable Entrepreneurship)?
- Wie wird umgegangen mit verwandten Themen wie der Gemeinwohlökonomie oder Genossenschaften?
Filter können helfen, doch je größer der Untersuchungsrahmen, desto größer auch der Aufwand.
… und trotzdem den ersten Schritt machen
Diese Fragen möchte ich in den nächsten Monaten gerne klären und eine Recherche initiieren. Bisher sind mir keine vergleichbaren Vorhaben aufgefallen (eher zu allgemeinen Nachhaltige Wirtschaften Studiengängen), bei Kenntnis bitte melden. Auch, wenn die Möglichkeit besteht, den Aufwand in vorhandene oder neue Forschungsprojekte outzusourcen. Wenn ich wesentliche Akteure und ihre Aktivitäten zum Social Entrepreneurship studieren vergessen habe, hole ich dies gerne auf Hinweis nach.
Was nach der Bestandsaufnahme kommt? Viele Interessen, Ansätze und auch eine Finanzierungsfrage stehen vor dieser nächsten Etappe. Machen wir doch erst einmal den ersten Schritt und denken dann an den nächsten.
Über den Autor:
Fabian ist seit 2017 bei der Hilfswerft und seit 2021 Gesellschafter. Er fühlt sich in der Konzeptionalisierung von neuen Lernformaten wohl, moderiert Workshops, vergisst die Wirkungsmessung nicht und schaut – wie auch hier – auf das Social Entrepreneurship Ökosystem als Ganzes. Er ist unter fabian@hilfswerft.de oder LinkedIn bzw. Reflecta erreichbar.
Verteilerhinweis
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