Was können Sozialunternehmer:innen im Bereich Inklusion leisten? 4 gute Beispiele aus unserem Social Entrepreneurship Camp
Menschen mit Behinderungen stoßen noch immer auf viele Barrieren – vor allem auf dem Arbeitsmarkt. Oft sind sie gut ausgebildet, aber im Vergleich zu Menschen ohne Behinderungen häufiger und länger arbeitslos. Warum das auch für dich ein Problem ist und inwiefern Sozialunternehmer:innen dazu beitragen können, den Arbeitsmarkt inklusiver zu gestalten, liest du in diesem Artikel: Wir stellen dir vier Initiativen aus Bremen vor, die sich für Inklusion einsetzen. Erfahre, welchen Beitrag sie zur gesellschaftlichen Teilhabe leisten – und zu welchen inklusiven Ideen sie die Teilnehmenden unseres Social Entrepreneurship Camps inspiriert haben.
Der deutsche Arbeitsmarkt ist nicht inklusiv – das ist für uns alle problematisch:
Seit 1994 ist das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe in unserem Grundgesetz festgeschrieben. Trotzdem schließt der erste Arbeitsmarkt Menschen mit Behinderungen häufig aus: Obwohl sie überdurchschnittlich gut qualifiziert sind, ist die Arbeitslosenquote in ihrer Gruppe doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderungen.
Wer in Deutschland ein Unternehmen mit 20 Mitarbeiter:innen führt, ist seit 2001 gesetzlich verpflichtet, mindestens eine Person mit Schwerbehinderung anzustellen. Aber: 60% der deutschen Unternehmen hält sich nicht an die gesetzliche Vorgabe. Stattdessen zahlen sie lieber die „Ausgleichsabgabe“, eine monatliche Strafzahlung an die Inklusionsämter, die wiederum Inklusionsprojekte finanziert. Kurzgesagt: Die Mehrheit der deutschen Arbeitgeber:innen kauft sich eher frei, anstatt sich für eine diversere und inklusivere Arbeitskultur einzusetzen. Auch in Zeiten des Fachkräftemangels, in denen wir die Potenziale von Menschen mit Behinderungen besonders dringend brauchen.
Wie können Sozialunternehmer:innen zu mehr Inklusion beitragen?
Trotz der Unterstützung durch die Inklusionsämter bleibt die vollständige Inklusion auf dem Arbeitsmarkt eine bisher ungelöste gesellschaftliche Aufgabe. Als Sozialunternehmer:innen wollen wir diese Herausforderung unternehmerisch anpacken – und die Kompetenzen von Menschen mit Behinderungen nutzbar machen. Aber was genau können Sozialunternehmer:innen im Bereich Inklusion leisten?
Menschen mit Behinderungen als Zielgruppe mitdenken:
Fast 10% der Menschen in Deutschland leben mit einer Behinderung. Das sind ungefähr 8 Millionen Personen, die nicht nur als Arbeitnehmende, sondern häufig auch als Konsument:innen übersehen werden. Beispielsweise sind laut einer Studie der Aktion Mensch und Google 75% der meistbesuchten Firmen-Webseiten in Deutschland nicht barrierefrei bedienbar. Als Sozialunternehmer:innen können wir die digitale Barrierefreiheit unserer Online-Kanäle verbessern – und darüber hinaus Dienstleistungen und Produkte für Menschen mit Behinderungen kreieren, die Hürden aktiv abbauen. Zum Beispiel: Freizeitangebote, die Menschen mit und ohne Behinderungen zusammenbringen, technische Lösungen für den Arbeitsplatz oder nützliche Alltagsprodukte, die auf die Bedarfe von Menschen mit vielfältigen Einschränkungen zugeschnitten sind.
Menschen mit Behinderungen als Arbeitnehmer:innen mitdenken:
Als (Sozial-)unternehmer:innen haben wir verschiedene Möglichkeiten, um die Inklusion in der Arbeitswelt zu fördern. Zum einen, indem wir unsere eigenen Firmenkulturen inklusiv gestalten und Menschen mit Behinderungen beschäftigen. Diese bringen nicht nur diversere Perspektiven in unsere Teams, sondern sind auch am besten in der Lage, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen als Konsument:innen zu verstehen. Daneben können wir Geschäftsmodelle entwickeln, die die Vernetzung von Arbeitgeber:innen des ersten Arbeitsmarktes und Menschen mit Behinderungen verbessern. Beispielsweise als Unternehmens- beziehungsweise Inklusionsberatung oder als Bildungsanbieter:innen für Menschen mit Behinderungen.
Soziale Innovationen initiieren oder sich im konstruktiven Aktivismus engagieren:
Mit unternehmerischen Mitteln können wir sozial-innovative Ideen langfristig in der Praxis umsetzen. Viele Sozialunternehmer:innen bedienen sich unter anderem bei sozialen Innovationen (wie neuen Dienstleistungen, Geschäftsmodellen, Prozessen, Produkten…), um gesellschaftliche Herausforderungen zu bewältigen. Organisationen wie die Sozialheld:innen engagieren sich auch als (politische) Aktivist:innen für konkrete Verbesserungen im Bereich Inklusion.
In 2,5 Tagen von der Idee zum inklusiven Geschäftsmodell – geht das?
In unseren Social Entrepreneurship Camps wollen wir jungen Menschen zeigen, wie sie solche Lösungen wie hier beschrieben selbst entwickeln können. Innerhalb von kurzer Zeit begleiten wir sie von der eigenen Inklusionsidee bis zum Unternehmenspitch vor einer Jury.
So auch bei unserem Camp zur „Inklusion im Arbeitsleben“ vom 2. bis 4. November an der Universität Bremen, finanziert vom Amt für Versorgung und Integration Bremen. Natürlich können unsere Teilnehmenden in 2,5 Arbeitstagen kein perfektes Geschäftsmodell entwerfen. Aber: Sie lernen am eigenen Beispiel die Methoden des Social Entrepreneurships und die oft unsichtbaren Barrieren von Menschen mit Behinderungen kennen. (Bild: v.l.n.r. Rümeysa, Irem, Johanna – Team „Sign Travel“ beim Social Entrepreneurship Camp)
Echte Sozialunternehmer:innen dienen in unseren Camps als Vorbilder und zeigen den Teilnehmenden, was heute schon möglich ist. Hier lernst du unsere vier guten Beispiele an der Universität Bremen näher kennen:
Inklupreneur – Wir bringen Unternehmen und Talente mit Behinderungen zusammen
Inklupreneur ist ein Pilotprojekt der Hilfswerft, das 2021 ins Leben gerufen wurde: Das Inklupreneur-Team berät Unternehmen im Bereich Inklusion und unterstützt die Vernetzung von Talenten mit Behinderungen und Arbeitgeber:innen. Zum Inklupreneur-Programm gehört die Erstellung von individuellen Inklusionskonzepten für Unternehmen genau so wie Begleitung bei der praktischen Umsetzung. Marten Welschbach ist Talentscout bei Inklupreneur und Unternehmensgründer, der selbst mit einer Behinderung lebt. „Bei sozialen Innovationen denkt man häufig nicht sofort an Inklusion.“, berichtet Marten im Camp, „Dabei scheitert die gleichberechtigte Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt häufig an der Bereitschaft der Unternehmen, uns eine Chance zu geben. Mit sozialen Innovationen können wir hier ansetzen und Hürden in den Köpfen abbauen.“
Vielfältig – Inklusive Pflege, die auch sexuelle Diversität berücksichtigt
„Warum spielt Sexualität plötzlich keine Rolle mehr, wenn Menschen pflegebedürftig werden oder eine Behinderung erwerben?“, fragen uns Judith und Hannah Burgmeier zu Beginn ihres Impulses beim Social Entrepreneurship Camp, „Sexualität schaltet sich im Alter oder mit dem Bedarf auf Pflege nicht einfach aus. Gleichzeitig passieren vor allem im Gesundheitswesen diskriminierende Situationen, zum Beispiel gegen queere Menschen.“ Hannah und Judith sind selbst Teil der queeren Community in Bremen und Expert:innen für Pflege, Gesundheitsmanagement und Sexualwissenschaft. Im Jahr 2024 wollen sie die vielfältig GmbH gründen: einen inklusiven Pflegedienst, der menschenwürdige Gesundheitspflege mit Beratung rund um Sexualität und Beziehungen verbindet.
Martinsclub Bremen e.V. – Behindern verhindern!
Der Martinsclub Bremen e.V. setzt sich für die Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen ein. Aus einem breiten Katalog – von Wohnen und beruflicher Teilhabe bis zu Reisen und Freizeit – können die Kund:innen des Martinsclubs auswählen, welche Hilfen für sie sinnvoll sind. Als Fachleitung von „Selbstverständlich Arbeit“ bringt Madlien Janko behinderte Menschen mit Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes zusammen. Jörn Neitzel und Ines Herrmann sind Teil einer weiteren Martinsclub-Ausgründung, der Agentur für barrierefreie Kommunikation selbstverständlich. Sie bieten Leistungen rund um Marketing, Presse, Grafik oder einfache Sprache an. „Bei der Arbeit für selbstverständlich steht meine Behinderung nicht im Vordergrund.“, berichtete Redakteur Jörn Neitzel, „Ich habe meine eigenen Aufgabenbereiche und kommuniziere mit allen Kolleg:innen auf Augenhöhe.“
Koralle – Design als Transformationskraft
„Bei Koralle fassen wir Inklusion weiter: Wir wollen neben Menschen mit Behinderungen alle weiteren Personen in marginalisierten Positionen einschließen, zum Beispiel Menschen mit Migrationshintergrund“, berichtete Tanja Engel beim Social Camp. Sie ist Co-Gründerin des Designstudios koralle. Zuvor hatte sie mit dem Projekt weserholz mehrere Jahre einen alternativen Lernraum für junge Erwachsene geschaffen, die mit Duldung in Bremen lebten. Bei weserholz erhielten sie Trainings im Bereich Sprache, Gestaltung oder Berufsorientierung. Mit koralle hat Tanja ihre Erfahrungen aus dem weserholz Projekt weiterentwickelt: Hier gestaltet sie nun gemeinsam mit strategischen Designer:innen Prozesse, Strukturen und Beziehungen von Behörden oder Wirtschaftsunternehmen. „Bei unseren Kund:innen schärfen wir ein Bewusstsein dafür, dass sie sich divers aufstellen müssen, um Herausforderungen nachhaltig zu lösen. Denn: Nicht nur die einzelnen Bewerber:innen müssen sich auf die Unternehmen einstellen, sondern auch umgekehrt!“, findet Tanja.
Ich fand die Themen Social Entrepreneurship und Inklusion spannend und anders, deswegen hatte ich mich zum Social Entrepreneurship Camp angemeldet. Die persönliche Geschichte von Marten aus dem Inklupreneur-Team hat mich besonders inspiriert: Zu Beginn haben andere Leute über ihn gesagt, er würde nie sprechen lernen oder Abitur machen. Später hat er studiert, ein eigenes Unternehmen gegründet und einen erfolgreichen Karriereweg zurückgelegt. Nachdem ich seine Geschichte gehört habe, hab ich viel intensiver darüber nachgedacht, wie ich jemanden wie Marten oder generell mehr Menschen mit Behinderungen in meine eigene Geschäftsidee integrieren kann.
Mohamad Tayem (Student der Wirtschaftsinformatik, Universität Bremen)
(Bild: v.l.n.r Tugay, Mohamad, Eray, Atilla – Team „Easy Route“ beim Social Entrepreneurship Camp)
Hast du Lust, einen Prozess zur Lösung gesellschaftlicher Probleme im Schnelldurchlauf zu erleben?
In kurzer Zeit haben unsere Teilnehmenden beim Social Entrepreneurship Camp mit dem Amt für Versorgung und Integration Bremen eigene, inklusive Geschäftsmodelle entworfen. Und das obwohl die meisten ihnen zuvor wenige oder keine Berührungspunkte mit Sozialunternehmertum und Inklusion hatten! Mit dabei waren Ideen für eine Übersetzungsapp für Hörgeschädigte oder neue Konzepte für einen barriereärmeren Nahverkehr. Auch du willst neue unternehmerische Fähigkeiten erlernen? Dann schaue jetzt in unserem Veranstaltungskalender, wann wir das nächste mal in deiner Nähe sind! Unsere Social Entrepreneurship Camps findest du an Hochschulen in ganz Deutschland oder auch online. Mit einer Eintragung in unserem Newsletter bleibst du über unsere Veranstaltungstermine und News aus der Social-Entrepreneurship-Welt auf dem Laufenden.
Willst du deinen Arbeitsplatz inklusiver gestalten?
Du bist berufstätig und hast jetzt nach dem Lesen Lust, dein Team diverser aufzustellen? Dann informiere dich jetzt über deine Möglichkeiten beim Inklupreneur-Programm!