Deutscher Social Entrepreneurship Monitor – Eine Einschätzung

Endlich ist der Deutsche Social Entrepreneurship Monitor (DSEM) erschienen. Hilfswerft-Crewmitglied Fabian hat sich das Dokument näher angeschaut und gibt hier eine erste Einschätzung.Deutscher Social Entrepreneurship Monitor Einschätzung

Endlich ist der Deutsche Social Entrepreneurship Monitor (DSEM; PDF zum Nachlesen) erschienen. Die Hilfswerft unterstützt das Ziel, die Sichtbarkeit von Social Entrepreneurship Aktivitäten in Deutschland zu erhöhen und Akteure zu erfassen. Daher ist unsere Organisation nicht nur im Social Entrepreneurship Netzwerk Deutschland (SEND e.V.) ein Mitglied der (fast) ersten Stunde. Darüber hinaus riefen wir auch zur Teilnahme bei der Umfrage auf, denn nur eine gute Datengrundlage fördert die Identifizierung der bisherigen Wirkung und aktuellen Herausforderungen von Social Entrepreneurship in Deutschland.

Ein erster Aufschlag

Die Grundgesamtheit der antwortenden Akteuren war dafür vergleichsweise gering. Nur 137 vollständig ausgefüllte digitale Fragebögen kamen zurück, das ist nicht repräsentativ und da sollte eindeutig mehr gehen! Ein Stück weit müssen wir uns auch selbst an die Nase fassen, auch wenn nicht abgefragt wurde, woher die Umfrage in das jeweilige Aufmerksamkeitsfeld der Organisation kam. So ist das Dokument eher als ein erster Aufschlag zu sehen, mit dessen Erfahrungen der SEND in der Neuauflage noch mehr Stimmen erhält.

Eine europäische Perspektive

Die erste Weichenstellung ist sicherlich die Definition. Hier hat sich der SEND für die Europäische Kommission entschieden, welches auch die europäische Besonderheit der Governance-Berücksichtigung beinhaltet. Eine gute Wahl, wenn ich auch gespannt bin, wie die genaue Abfrage der Kategorien nächstes Jahr aussehen wird. Denn wo fängt die wirtschaftliche Tätigkeit an? Gehören Geschäftsmodelle, die auf Spendenmodelle basieren, dazu? Oder die öffentliche Förderung? Der Innovationsgrad einer Organisation ist außerdem kein Bestandteil dieser Definition.

Identitätsfrage

Die Definitionsdiskussion wird oft vernachlässigt, weil es doch erst einmal um die Wirkung geht. Es scheint, jede*r der/die sich mit dem Konzept identifizieren kann, wird erst einmal als Sozialunternehmer*in verstanden. Das ist im ersten Schritt okay, wird aber spätestens bei politischen Forderungen spannend, wenn es beispielsweise um eigene Rechtsformen von Social Enterprises geht. Dann sollte die Community aufpassen, nicht beliebig zu werden.

Wie viele sind es denn nun?

Die hergeleiteten Gesamtzahlen an sozialunternehmerischen Organisationen aus den Zivilgesellschaft in Zahlen – Studien sind jedenfalls nicht unbedingt eine Abbildung der Realität, also ob es nach gewissen Kriterien auch wirklich Sozialunternehmen sind. Ob dies in Zukunft der DSEM leisten kann, bleibt zu hoffen, aber auch abzuwarten. Schließlich erfolgt die Einschätzung noch immer durch die Sozialunternehmer*innen selbst.

Bremen gut dabei

Eine andere Zahleninterpretation hat mich besonders gefreut. Wie die restlichen Stadtstaaten und Hessen, war auch Bremen im Verhältnis zur Bevölkerung übermäßig vertreten (4,3 %). Durch unseren Sitz in Bremen ist es mir ein inneres Anliegen, das örtliche Ökosystem weiter vor unserer Haustür zu stärken, da ist das eine gute Nachricht. Mit Ausnahme von Berlin und mit Abstrichen Sachsen hinkt der komplette Osten leider etwas hinterher. Sehr schade! Auch in unserer Arbeit z.B. mit dem Helden der Heimat-Format merken wir, dass das Thema noch eher zurückhaltend beobachtet wird.

Viel Angebot, wenn dem Menschen nah

Die Sustainable Development Goals (SDGs) waren erwartbar verteilt. Auch wir haben zu den hohen Balken bei SDG 4 (Bildung) und 12 (Nachhaltiger Konsum) beigetragen, bei SDG 11 (Nachhaltige Städte und Gemeinden) ist dagegen schon wieder etwas weniger los. Die SDGs 14 und 15 haben es wortwörtlich „naturgemäß“ schwer, da Dienstleistungen wie Biodiversität fördern und Meere schützen schwer zu wertschätzen sind. Der Hobbyimker-Trend und gestandene Organisationen wie Plant for the Planet zeigen immerhin, wie es gehen könnte.

Social Entrepreneurship ein Akademiker-Thema?

Überrascht hat mich doch der hohe Akademiker*innen Teil der Befragten. Rund 80 % haben einen Uni- oder Fachhochschulabschluss. Hier fände ich es einmal spannend, ob es am Interesse, der Unterstützung des Umfeldes oder an der reinen Kenntnisnahme liegt. Auch für uns mit unseren Social Entrepreneurship Camps, die bisher auch nur an Hochschulen oder Universitäten stattfinden, eine Reflexion wert.

Alle auf die Politik!

Bei der schlechten Notengebung der Politik musste ich erst einmal Schmunzeln. Gibt es eigentlich Verbände, die mit der Politik offiziell zufrieden sind? Bisher hat SEND mit den vorhandenen geringen Ressourcen jedoch schon ein paar kleine Meilensteine erreicht, alle Koalitionsverträge dieses Jahres beinhalteten dieses Thema, sodass man gespannt sein darf, wie sich die Note beim nächsten Durchlauf ändern wird.

Welches Ressort ist für mich zuständig?

Den drei Handlungsempfehlungen an die Politik kann ich mich wiederum nur anschließen. Klare Ansprechpartner*innen sind wichtig, sowohl auf lokaler als auch nationaler Ebene. Dadurch erhält das Thema nicht nur eine höhere Wertigkeit, sondern erleichtert auch den Weg von Social Entrepreneur-Aspirant*innen. Das könnte sogar auf lokaler Ebene schon mit einem / einer echten Ansprechpartner*in in Gründungszentren oder -agenturen abgedeckt werden.

Zusammenbringen und gut ausstatten

Der Weg zu speziellen Sozialen Innovationszentren ist begrüßenswert, scheint mir aber leider noch weit weg, wenn es mehr sein soll als die programmorientierten Social Impact Labs. Hier wären beispielsweise schon erste Living Labs, in denen helixartig Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft auf Augenhöhe zusammenkommen ein erster Schritt. Zuletzt sei natürlich das liebe Geld erwähnt. Spezielle Fonds oder andere Budgetpools für kleine Sozialunternehmen, die dann nicht doch von Wohlfahrtsverbänden abgegriffen werden, sind absolut notwendig. Instrumente wie z.B. EXIST-Förderprogramme für gemeinwohlorientierte Ideen sind gut, es sollten jedoch auch Nicht-Akademiker (s. oben) angesprochen werden.

In kurz und knapp

Soweit meine ersten Überlegungen. Danke noch einmal an das Autorenteam und die Forschenden der Universität Marburg. Im Übrigen habe ich den 80-seitigen Social Entrepreneurship Monitor Deutschland 2018 auch auf ein nicht ganz so schönes, dafür wesentlich kürzeres „Cheatsheet“ gekürzt. Es möge der ein oder dem anderen nützlich sein!

Autor: Fabian Oestreicher

Fabian Oestreicher

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