So denken Studierende über Inklusion in der Arbeitswelt – Eindrücke aus dem Social Entrepreneurship Camp

Team "Inkusia" beim Social Entrepreneurship Camp "Inklusion in der Arbeitswelt" an der Hochschule Bremerhaven: Zwei junge Männer und zwei junge Frauen sitzen an einem Gruppentisch in einem Universitätsgebäude und lächeln in die Kamera. Auf dem Tisch sind aufgeklappte Laptops, Post-It-Notizen und Arbeitsmaterialien zu sehen.
Team „Inkusia“ beim „Social Entrepreneurship Camp – Inklusion in der Arbeitswelt“ an der Hochschule Bremerhaven 

Von einem Arbeitsmarkt, der für alle zugänglich gestaltet ist, ist Deutschland noch weit entfernt: Vor allem Menschen mit Behinderungen sind nach wie vor strukturell benachteiligt. Um sie am allgemeinen Arbeitsmarkt zu beteiligen, setzen viele auf Unternehmen, die sich trotz gesetzlicher Verpflichtung noch scheuen, Menschen mit Behinderung einzustellen. Staatliche Institutionen sollen ihnen Anreize schaffen und auch von Berufsanfängern erhofft man sich positiven Druck auf Arbeitgeber:innen. Schließlich werden der „Generation Z“ besonders hohe Ansprüche an Diversität und Inklusion am Arbeitsplatz nachgesagt.

Auf dem „Social Entrepreneurship Camp – Inklusion in der Arbeitswelt“ haben wir gemeinsam mit Studierenden der Hochschule Bremerhaven an Konzepten für mehr Inklusion gearbeitet. In diesem Artikel liest du, welche Vorstellungen sie zum Thema mitgebracht haben, wie ihre Lösungsideen aussehen – und wie sich ihre Haltung zum Thema Inklusion durch den Workshop verändert hat.


Warum mangelnde Inklusion in der Arbeitswelt uns alle angeht

Seit 1994 ist das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe in unserem Grundgesetz verankert. Dennoch grenzt der allgemeine Arbeitsmarkt Menschen mit Behinderungen häufig aus. Vor allem die fehlende Einstellungsbereitschaft von Unternehmen hemmt eine Verbesserung der Inklusion – trotz gesetzlicher Vorgabe: Im Jahr 2023 waren fast 175.000 Arbeitgber:innen gesetzlich verpflichtet, mindestens eine Person mit Schwerbehinderung einzustellen. Doch jede:r vierte von ihnen entschied sich dafür, lieber die sogenannte Ausgleichsabgabe (eine monatliche „Strafzahlung“ für fehlende Inklusion) an die Inklusionsämter zu zahlen, statt sich inklusiver aufzustellen (Quelle Inklusionsbarometer).

Fehlende Inklusion ist eine Lose-Lose-Situation – für uns alle. Wenn jeder Mensch eine faire Chance erhält, am Arbeitsleben teilzunehmen, führt das zu höherer Produktivität, Wirtschaftswachstum und Innovation. Umgekehrt werden ohne Inklusion nicht nur Menschen mit Behinderungen von ihrem Grundrecht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen sondern auch wichtige Potenziale verschenkt. Schon heute sehen rund 55 Prozent der Unternehmen in Deutschland den Fachkräftemangel als größtes Risiko für ihre Geschäftsentwicklung (Quelle BMWK). Warum also auf Menschen mit Behinderung verzichten, die in der Regel gut ausgebildet sind und offene Stellen sofort besetzen können? (Quelle Deutschlandfunk Kultur)


Neue Werte, neue Erwartungen – wie beeinflusst die „Gen Z“ den Arbeitsmarkt?

Staatliche Institutionen wie die Inklusionsämter unterstützen Unternehmen bei der Inklusion von Menschen mit Behinderungen – zum Beispiel mit Beratungsangeboten oder finanzieller Förderung. Doch auch sie können Firmen die Vorteile der Inklusion nicht „einimpfen“, sondern nur dafür sensibilisieren. Was es braucht, sind Führungskräfte und Mitarbeiter:innen, die sich für das Thema stark machen. Hier sind wir alle gefragt: Von der Geschäftsführerin, die Barrieren für Inklusion bei ihren Mitarbeiter:innen identifiziert, über die Recruiterin, die eine vielfältige Belegschaft aufbaut, bis zum Redakteur, der auf mangelnde Barrierefreiheit auf der Firmenwebsite hinweist.

Auch von den Berufsstarter:innen, die jetzt neu auf den Arbeitsmarkt kommen, erhofft man sich einen Wandel hin zu mehr Vielfalt. Die Rede ist von der „Generation Z“, also denjenigen, die zwischen 1997 und 2012 geboren wurden. Die Studie „Randstad Employer Brand Research“ kam zu dem Ergebnis, dass Angehörige der „Gen Z“ mehr Wert auf Diversität, Inklusion und die gesellschaftliche Verantwortung ihres Arbeitgebers legen als frühere Generationen (Quelle Randstad).

Um als Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, müssen Firmen also auch inklusiver werden – oder? Ganz so einfach scheint es nicht zu sein. Obwohl traditionelle Anreize wie zum Beispiel das Gehalt an Stellenwert verlieren, werden sie auch von der „Gen Z“ weiterhin geschätzt (Quelle WJD). Hinzu kommt, dass der „Gen Z“ – wie auch anderen Altersgruppen – häufig die Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung fehlen. Laut einer Umfrage von Monster, Sozialhelden e.V. und YouGov hatte die Hälfte der Deutschen am Arbeitsplatz noch nie Kontakt zu Menschen mit Behinderung (Quelle Monster Worldwide Presse). Dies erschwert den Abbau von Berührungsängsten und Vorurteilen bei nicht-behinderten Menschen.


Fehlende Inklusion konstruktiv angehen – beim Social Entrepreneurship Camp!

Am 12., 13., 19. und 20. Januar 2024 haben wir gemeinsam mit Studierenden der Hochschule Bremerhaven an Ideen für mehr Inklusion auf dem Arbeitsmarkt gearbeitet. Ziel unseres Social Entrepreneurship Camps war es, den Teilnehmenden die Denkweisen und Methoden des Sozialunternehmertums zu vermitteln – und sie gleichzeitig für die Barrieren von Menschen mit Behinderung zu sensibilisieren.

Innerhalb von 4 Tagen entwickelten die Studierenden eigene Geschäftsmodelle, die unternehmerische Ansätze mit sozialer Wirkung verbinden. Wir begleiteten sie dabei von der ersten Problemanaylse bis zum Unternehmenspräsentation vor einer Jury.

Zitat Fabian Oestreicher mit Bild. Text: Sozialunternehmer:innen (eng. Social Entrepreneurs) gründen Organisationen mit einem gemeinwohlorientiertem Ziel: Mit ihrer Arbeit erwirtschaften sie nicht nur einen finanziellen Gewinn für sich und ihre Angestellten – sondern vor allem eine positive Wirkung für Gesellschaft und Umwelt.
An einem Tisch mit Arbeitsmaterialien sitzen zwei Studentinnen. Fabian Oestreicher, Veranstaltungsmoderator des Social Entrepreneurship Camps, erklärt einen Zusammenhang anhand von Post-It-Notizen, die auf dem Tisch kleben.
Auf dem „Social Entrepreneurship Camp – Inklusion in der Arbeitswelt“ gibt Veranstaltungsmoderator Fabian Oestreicher Tipps zum passenden Erlösmodell

Wichtigstes Element des Workshops war ein ständiger Wechsel aus Wissens-Inputs, praktischen Einblicken in die Arbeit echter Sozialunternehmer:innen und angeleiteter Gruppenarbeit. Dabei unterstützten uns die großartigen Gastredner:innen, Feedbackgebenden und Challenge-Geber:innen Louis Kleemeyer (Unique United), Mareke Menzel (Integrationsamt Bremen im AVIB), Tobias Polsfuß (WOHN:SINN), Nicole Richter (Integrationsfachdienst Bremerhaven/Wesermünde), Vincent Wirxel und Tom Sion (Downtown Waffles), Dr. Barbara Schieferstein (BIS Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Standortentwicklung) sowie Andreas Larmann und Christine Sacher (Elbe-Weser Welten gGmbH) mit ihrem Know-how. Möglich gemacht wurde die Veranstaltung vom Amt für Versorgung und Integration Bremen.


Was denken unsere studentischen Teilnehmenden zum Thema?

Bei der Befragung im Vorfeld des Social Entrepreneurship Camps gab ein Großteil der Teilnehmenden an, bereits verschiedene Berührungspunkte mit dem Thema Inklusion gehabt zu haben. Dennoch spielte die allgemeine Sensibilisierung für die Realität der Inklusion auf dem Arbeitsmarkt im Workshop noch eine große Rolle. Unsere Teilnehmerin Ayşin berichtete im Interview: „Ich habe durch das Camp so viel komprimiertes Wissen zur Inklusion bekommen, das ich so im Alltag nicht erfahren hätte. Mir war gar nicht bewusst, wie viele Hürden es noch gibt.“ David stimmte ihr zu: „Mir fehlte bei vielen Themen das Problembewusstsein, obwohl ich sogar beruflich schon mit Inklusion zu tun hatte. Während meines FSJ in einer Werkstatt für behinderte Menschen wurde mir zum Beispiel gar nicht vermittelt, dass es deren oberstes Ziel ist, ihren Mitarbeiter:innen den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt zu erleichtern. Das habe ich erst hier im Workshop erfahren.“

Auf die Frage, wie die Teilnehmenden die Themen „Gutes Geld verdienen“ und „Gutes für die Gesellschaft bewirken“ in ihrem Berufsleben gewichten würden, reagierten die Studierenden gespalten. Lotta ist sich sicher: „Ich kann keine sinnlose Arbeit verrichten und brauche das Gefühl, etwas Wertvolles für die Gesellschaft zu tun. Wenn ich unglücklich bin, hilft mir das Geld auch nicht.“ Ayşin, David und Daniel würden das Thema „Geld verdienen“ höher priorisieren: „Für mich hängt die Gewichtung auch von der Lebensphase ab“, meint Ayşin, „ich brauche finanzielle Sicherheit für mich selbst, um anderen helfen zu können“.

Vor einer Tafel stehen Studierende, Moderatoren und Gastredner:innen des Social Entrepreneurship Camps und winken in die Kamera.

Und was braucht es jetzt, um den Arbeitsmarkt inklusiver zu gestalten?

Aus Nils und Daniels Perspektive wäre es wichtig, noch mehr Druck auf Unternehmen auszuüben, die keine Mitarbeiter:innen mit Behinderung beschäftigen. „Meine Einstellung zum Thema Inklusion hat sich durch die Informationen und Kontakte, die ich im Camp bekommen habe, sehr verändert“, erzählte Daniel, „ich bin jetzt eher der Meinung, dass die Ausgleichsabgaben, die nicht-inklusive Unternehmen an die Inklusionsämter zahlen müssen, noch viel zu niedrig sind.“ Lotta findet es vor allem wichtig, Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung zu schaffen, um Stereotype abzubauen. Mateusz lebt selbst mit einer Behinderung und bewertet den gesellschaftlichen und medialen Austausch rund um das Thema Inklusion als problematisch:


4 Workshop-Tage = 3 neue Denkanstöße zur Inklusion auf dem Arbeitsmarkt

Das Ergebnis der praktischen Übung auf unserem Social Entrepreneurship Camp sind drei sozialunternehmerische Konzepte für mehr Inklusion. Diese zeigten unsere Teilnehmenden am 20. Januar vor einer Expert:innen-Jury. Die Ideen der Studierendenteams reichten von der Sensibilisierung von Unternehmen durch zertifizierte Inklusionsworkshops über den Aufbau einer barrierefreien Jobplattform bis hin zur Vermittlung von Berufspraktika für Menschen mit seelischen und psychischen Behinderungen. Vielen Dank an das Amt für Versorgung und Integration Bremen für das Ermöglichen dieser Veranstaltung!

Du findest das Thema Inklusion spannend? Wir helfen dir weiter:

Im Rahmen unserer Hochschularbeit informieren wir deutschlandweit auf Social Entrepreneurship Camps und weiteren wirkungsorientierten Workshops über das Thema Sozialunternehmertum – mit besonderem Fokus auf Inklusion oder andere gesellschaftlich relevante Themen. In unserem Veranstaltungskalender halten wir dich über kommende Projekte auf dem Laufenden. Trage dich mit deinen Kontaktdaten in das untenstehende Formular ein, wenn du das Thema Inklusion bei Studierenden oder Mitarbeitenden deiner Hochschule platzieren und dich mit uns darüber austauschen möchtest.

Unser Projekt Inklupreneur unterstützt Unternehmen auf ihrem Weg zu einer inklusiven Arbeitskultur und bringt sie mit motivierten Talenten mit Behinderung zusammen. Wenn du dein Unternehmen inklusiver gestalten möchtest, trage deine Kontaktdaten ins Formular und wir organisieren einen unverbindlichen Austausch mit der passenden Ansprechperson aus unserem Inklupreneur-Team.

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